Eine Hassliebe

Über „im Ziel alles was man in der Hand hat auf den Boden werfen und seine Kompass zerdeppern“-Hass und „Hoch die Hände, Wochenende“-Freude

Als Leistungssportlerin habe ich Erwartungen und Ansprüche an mich selbst. Auch wenn ich mir nicht direkt ein Platzierungsziel setze, will ich einen ordentlichen Lauf machen. Dazu gehört auf keinen Fall bei einer schwedischen Meisterschaft nachts am ersten Posten keine 20 m vom Schirm entfernt zu stehen und auch nach dem dritten Versuch das scheiß Teil nicht zu finden, weil man auf der Postenbeschreibung die Seiten von diesem verdammten Hilfshöhenlinine-Hügel vertauscht hat. Nach vier Minuten hatte ich das Ding dann gefunden und die übernächste Starterin mich natürlich genau eingeholt .

Man rennt weiter, hakt die Scheiße ab und versucht es irgendwie wieder gut zu machen. Tatsächlich kam ich ganz gut über den Rest der Bahn und zusammen mit der Läuferin, die mich direkt am ersten Posten eingeholt hat, holte ich eine Menge Leute ein. Mal führte sie, mal ich. Am Ende rannte sie mir ein Stück davon, aber nie so weit, dass ich ihre Lampe nicht mehr sehen konnte.

Als wir ins Ziel kommen wird die andere Läuferin als Führende angesagt und wahrscheinlich gewinnt sie das ganze Ding. Ich bin vierte. Am Ende wird es ein fünfter Platz mit 4:19 min Rückstand. Drei Schritte hinter der Ziellinie, lasse ich den Fokus fallen und die ganzen gehemmten Gefühle der letzten 70 min kommen alle auf einmal. Da knalle ich gerne mal Karte und Kompass in die Ecke.

Lächeln viel mir schwer bei der Siegerehrung

Ich weiß schon lange, dass ich ein gutes Niveau habe und mich vor den anderen Damen echt nicht verstecken muss, aber es wäre so schön, dafür auch gelegentlich eine Bestätigung zu bekommen. Freitagnacht war ich so unglaublich nah. 99% der Strecke bin ich genauso schnell und technisch gut gelaufen, wie die Siegerin. Wieder einmal habe ich einen wirklich guten Lauf mit einer dummen Aktion versaut. Das fühlt sich einfach nur an wie ein Schlag ins Gesicht. So offensichtlich und die einzige die man beschuldigen kann, bin ich selbst.

Auch wenn ich kein direktes Platzierungsziel habe, kann ich so unendlich enttäuscht und wütend über meine Leistung sein. Dann weiß ich nicht wohin mit mir, außer weit weg gehen und heulen und schreien. Das passiert immer Mal und ist meine Art mit frustrierenden Erlebnissen umzugehen. Leider habe ich das Gefühl, dass die Momente wo ich wirklich einfach mal zufrieden und glücklich mit meinem Lauf bin, sehr selten sind.

Auf dem Weg zu Platz 4!

Genauso hatte ich diesen Text am Samstag geschrieben, aber mich dann doch entschieden ihn nicht zu veröffentlichen. Am Sonntag war ja auch noch ein Lauf. Tatsächlich war der dann genau das Gegenteil. Irgenwie hatte ich im Kopf, dass ich sowieso nichts mehr zu verlieren hätte und da kann man bei einer Mitteldistanz mal ordentlich losgasen. In der ersten Hälfte hatte ich ein paar Unsicherheiten drin, aber nie große Dinger. Dann sah ich die vier Minuten vor mir gestartete Läuferin, die am Freitag übrigens vierte wurde, an Posten 12. Ok, jetzt dran bleiben, dachte ich mir. Mehr war auch nicht mehr drin. Die Strecke war für schwedische Verhältnisse äußerst steil und meine Beine schon sehr müde. Dann tatsächlich als Dritte!!! über die Ziellinie gelaufen. Nur eine Läuferin war noch schneller, sodass es am Ende ein vierter Platz wurde. Das ist das erste Mal in meiner Sportler-Karriere, dass ich in Schweden bei einem Einzelrennen am Tag die Top 6 erreiche! Es geht also doch, ein riesiger Felsbrocken fiel mir vom Herzen.

Man könnte jetzt denken: an einem Tag werde ich Fünfte und bin todtraurig und am anderen Tag Vierte und bin super happy, ist da nicht irgendwas komisch? Tja einerseits frage ich mich immer was möglich gewesen wäre und da war am Freitag absolut Gold drin und anderseits starten bei so einer Nachtmeisterschaft nun einmal nicht halb so viele von den schnellen Damen wie bei einer Swedish League am Tag. Auch wenn es nur ein Platz unterschied ist, liegen für mich trotzdem Welten dazwischen.

Trotz solcher Lichtblicke, merke ich wie mich solche Rückschläge wie am Freitag richtig fertig machen und das die Lichtblicke es nicht schaffen, die Rückschläge mental auszugleichen. Das macht auf Dauer irgendwie, verzweifelt, stumpf und leer und lässt mich langsam aber sicher den Spaß am Leistungssport verlieren. Ich laufe schon fast mein halbes Leben im Nationalteam, seit fast zehn Jahren in der Elite. Irgendwann ist das Fass voll. Es wird immer schwieriger mich nach einem verkackten Lauf aufzuraffen, die Sache abzuhaken und sich auf die nächste Herausforderung, den nächsten wichtigen Wettkampf, das nächste Jahr zu konzentrieren.

Als Leistungssportlerin bin ich jedoch auch Perfektionistin. Also reiße ich mich zusammen, so gut es eben geht und bereite den nächsten Lauf vor, versuche es dann besser zu machen. Dass ich es besser kann, habe ich schon tausendmal bewiesen, auch wenn man es vielleicht nur drei oder viermal auf der Ergebnisliste gesehen hat. Vielleicht lege ich auch zuviel Wert auf das was in dieser Liste steht, aber ist das nicht ein großer Teil dessen worum es im Leistungssport geht?

Jedenfalls merke ich, dass ich davon wohl nicht mehr weg komme und dass das ein Teil des Grundes ist, warum das hier meine letzte Saison im internationalen OL wird. Ich will Wettkämpfe wieder einfach nur genießen, davor, währenddessen und danach. Ich möchte diesen Druck, diese großen Erwartungen und Ansprüche nicht mehr. Sie nehmen mir den Spaß an der Sache und der Spaß war mir immer das Wichtigste.

Ich bin ein Wettkampfmensch und nur weil ich international nächstes Jahr nicht mehr laufen werde, bedeutet das nicht, dass ich nicht trotzdem noch Ziele habe. Es gibt da immer noch diesen Traum mit 10MILA und Jukola und nicht zu vergessen den 24-Stunden OL. 😉

Viel Spaß bei eurer Hassliebe mit den orange-weißen Schirmen!

Fotos: Julia Davidsson

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